Das Geheimnis der Phở

Was wie ein Drei ???-Titel klingt, ist nur wieder mal Clickbait für eine weitere Bernschneider-Weisheit, die ich den Jungspunden unter Euch wundervollen Fotografen geben möchte. Eigentlich müsste es heißen: die Romantisierung der Phở.

Aber vorweg – falls jemand nicht weiß, was Phở ist: Phở ist eine traditionelle Suppe der Vietnamesischen Küche. Ein Heiligtum.

Meist aus kräftiger Brühe gemacht, haut man da noch Rind oder Huhn rein, Reisnudeln, Lauch, Zwiebeln, Koriander, Chilis, Limettenspalten und allerlei andere Gemüse-Leckereien.

Ich bin a) kein Frühstücker und b) kein Fan von Süßem. Die Vorstellung morgens ein Marmeladen- oder Honigbrot zu essen, lässt mich schaudern. Und da diese vietnamesische Suppe traditionell als Frühstück gegessen wird, außerdem ein Hauch Exotik und kosmopolitische Verbundenheit mitschwingt, kann ich mich gut folgendermaßen sehen:

Ich sitze in meinem hellen Leinen-Anzug, leicht verkatert an einem Gußeisernen Tisch, lese die Tageszeitung „Ha Noi moi“ (weil ich plötzlich Vietnamesisch kann), beobachte das Treiben vor meinem Hotel und frühstücke meine Phở. Ich warte darauf, dass ich in ein Diplomatenfahrzeug steigen kann und dem Kultur-Attaché wichtige Dokumente über den Agrarkommunismus einer übrig gebliebenen Splitterzelle der Roten Khmer überreichen kann.

Die Wirklichkeit sieht so aus:

Ich sitze beim Vietnamesen, nachdem mir mein Freund Simon ausgiebig von seiner Phở-Frühstück in der fernöstlichen Sonne berichtet hat, und bekomme diese Suppe nicht runter, weil sie nach Nelken schmeckt. Außerdem schmeckt es eklig fleischig, nicht gerade Chateubriand-fleischig. Aber sie sieht so lecker aus, und alles klingt so lecker und ich will auch Weltgewandt sein und nicht nur McDonalds mögen und die Idee einer Suppe morgens ist fantastisch.

Aber auch ein Jahr später, bei einem anderen Vietnamesen bekomme ich sie nicht runter. Und das Jahr darauf ebenfalls nicht.

Was will der Bernschneider von mir? Jetzt hat er endgültig den Verstand verloren…

Aufgepasst, jetzt der Bogen:
80% der jungen Fotografen, mit denen ich rede, wollen am liebsten den Olymp der Fotografie erklimmen und Fashion-Fotograf werden. Sie sehen sich in New York, Rio, Tokyo und shooten Kendall Jenner für die Vogue und lassen sich zwischen zwei Sessions einen Decaf Soymilk Frapuccino vom Praktikanten holen – interessieren sich aber derweil NULL für Mode.

Solltest du Fashion nicht atmen, es nicht für eine Kunstform halten, nicht wissen, was gerade abgeht und was gerade in ist, dann wird es schwer. Sehr schwer. Alle erfahrenen Menschen um dich herum, dein Team, vom Prakti bis zum Art Director, beschäftigen sich 24 Stunden am Tag mit Styles und Hypes und solltest du nicht genau so denken, gehörst du nicht dazu. Du wirst früher oder später abgedrängt werden.

Es gibt eine Fantasie von dem, wo man sich selbst sieht – und das kann auch alles Wirklichkeit werden, aber nur wenn man die Zutaten liebt. Hab ich Bock auf 500 Trillionen Follower wie Max Muench und die German Roamers? Klar, warum nicht. Hab ich Bock, morgens um 4 Uhr einen Berg hochzukraxeln, um den schönsten Sonnenaufgang einzufangen? Fuck, nein! Im Leben nicht.

Es gibt Dinge, die wir gerne mögen wollen. Oder sein wollen. Und ich halte es für legitim es immer wieder zu versuchen. Aber man sollte sich damit abfinden, dass es manchmal nicht mehr ist, als eine romantische Fantasie und das dies auch ok ist.

Es muss einem schmecken.

Ob das jetzt für Euch Sinn ergeben hat, wer weiß –

Guten Appetit und viel Liebe,

Ben

Ps. Für all diejenigen, die ohne Fashion nicht leben können, mein Tipp: Du kannst nicht in Deutschland bleiben. Es gibt keine Fashion-Szenen, keine Modelabels und wenn hier mal etwas geshootet wird, dann holt man sich einen internationalen Fotografen. Fotos für Tom Tailor machen oder für Magazine wie Grazia, Madame, Brigitte etc. shooten ist keine Fashion-Fotografie. Die Redakteure und Mitarbeiter können ja selbst keine Louboutins von Crocs unterscheiden. Such dir eine Assistenz bei einem Fotografen in einer Metropole dieser Welt, reiss dir den Arsch auf und lerne, wie internationale Produktionsabläufe funktionieren.

Ben Bernschneider